Abgesehen von einigen streitlustigen Charakteren, mögen die meisten von uns Konflikte im Leben vermutlich nicht besonders. Wenn wir uneinig sind mit unseren Mitmenschen, ist das selten eine angenehme oder gar freudige Situation. Warum sollte ich einen Konflikt als meinen eigenen sehen, wenn das Problem scheinbar im Aussen oder beim Anderen liegt?
«Mein Konflikt gehört mir.» Diese Einstellung kann bewirken, dass ich eher bereit dazu bin, mich eigenverantwortlich mit einer herausfordernden Situation auseinanderzusetzen. In der Mediation ist diese Selbstbestimmung der Beteiligten ein wesentliches Merkmal. Verbunden damit ist auch die Freiwilligkeit, einen Konflikt auf diesem Weg lösen zu wollen, anstatt selbst Gewalt anzuwenden oder andere darüber richten zu lassen. Wer sich gezwungen sieht einer Mediation zuzustimmen, wird es vermutlich schwerer haben, einen eigenen Beitrag zur Lösung zu leisten. Wer sich hingegen als «Eigner» des Konflikts begreift, behält bis zum Ende auch die Freiheit, sich nicht einigen zu müssen.
Unserer Arbeitsweise liegt die Überzeugung zugrunde, dass die an einem Streit beteiligten Personen grundsätzlich bessere Entscheidungen für ihr Leben treffen als eine Autorität von aussen. Das trifft besonders auf Familienangelegenheiten zu, wo wir in der Regel eigenverantwortlich und ohne Beizug von Behörden oder Gerichten entscheiden wollen. Auch in selbständiger Berufstätigkeit oder in kleinen Organisationen ist dieses Konfliktverständnis verbreiteter. Missverständnisse und Misstrauen führen dort aber wie in anderen Lebensbereichen zu Streit, den wir vielleicht nicht ohne die Hilfe eines unabhängigen Dritten lösen können oder wollen. Viel häufiger als anderswo, hat sich die Mediation zur Klärung von Konflikten in privaten Angelegenheiten auch besonders bewährt und etabliert.
Je hierarchischer eine Organisation strukturiert ist, desto mehr verliert der Einzelne die Autonomie im Konflikt. Er kann nicht mehr selbst entscheiden, sondern orientiert sich an übergeordneten Regeln und Instanzen. Das führt einerseits zu einer Ausweitung von Gesetzen und Verordnungen, die möglichst konkret bestimmen, was erlaubt ist und was nicht. Anderseits bedarf es eines Ausbaus von Stellen in Verwaltung und Justiz, um das Gebotene umzusetzen und das Verbotene zu bestrafen. Es mag selbst Juristen zuweilen schwerfallen, sich in den weitverzweigten Regelwerken zurecht zu finden. Juristische Laien sind in vielen Rechtsgebieten auf eine anwaltschaftliche Vertretung angewiesen. Auf den Verlust an Autonomie in alltäglichen Konflikten, sei es in der Schule und der Arbeit oder auf Reisen und beim Handeln, können wir unterschiedlich reagieren, damit das Zusammenleben funktioniert. Wir können uns auf zusätzliche Gebote und Verbote verständigen. Oder wir üben uns in gewaltfreier Kommunikation, um im Konfliktfall zu einem Ausgleich von Interessen und Bedürfnissen beitragen zu können.
Um autonom zu werden in der Klärung und Bearbeitung von Konflikten, ist es hilfreich, einen unterstützenden Rahmen zu schaffen. Die Akademie Sichtweisen vermittelt Wissen und Praxis rund um die Mediation. Die Angebote zeigen ausserdem Wege der Persönlichkeitsentwicklung, die Mut machen und die Kreativität wecken, selbst Teil der Lösung zu werden.
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