Sichtweisen Bericht

Die Schweiz setzt mit ihrer aussenpolitischen Strategie 2020-2023 auf Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit als Fundament für Wohlstand und nachhaltige Entwicklung. Militärische Auseinandersetzungen innerhalb und zwischen den Staaten gehören weltweit zum traurigen Alltag. Die Mediation und mediatives Handeln erweisen sich bei Dilemmata, in denen es nur ein «Entweder … oder» gibt, als wirkungsvolles Verfahren oder Mittel, um eine neue Sichtweise zu bekommen. #akademie #sichtweisen #mediation #gesprächsführung #zukunft #frieden

Die einzige Brücke zwischen den Menschen

 

Militärische Auseinandersetzungen innerhalb und zwischen den Staaten gehören weltweit zum traurigen Alltag. Es neigt sich ein Jahr dem Ende zu, in dem mitten im Herzen Europas ein Konflikt ent­flammt ist, der andauert und folgenschwer ist. Die Situation in der Ukraine und die krisenge­prägten letzten Jahre bewirken Unfrieden im Innen wie Aussen.

Die Schweiz setzt mit ihrer aussenpolitischen Strategie 2020-2023 auf Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit als Fundament für Wohlstand und nachhaltige Entwicklung. Erstmals seit dem Beitritt zur UNO vor über 20 Jahren wurde die Schweiz für die nächsten zwei Jahre in den Sicherheitsrat gewählt. Das Wahlergebnis in diesem Sommer drückte viel Zustimmung und Vertrauen für ein Land aus, das in seiner Geschichte für Vermittlungsdienste zur friedlichen Streitbeilegung bekannt wurde.

Als «Brückenbauerin» versteht sich die Schweiz in ihrer Aussenpolitik auch heute noch. Wie aber können angesichts der volatilen internationalen Lage Brücken gebaut werden? Der Einsitz in ein Gremium, das über wirtschaftliche und militärische Sanktionen oder deren Androhung entscheidet, ist für ein neutrales Land ein heikles Parkett. Russland lehnte jüngst ein Schutzmandat für die Schweiz ab, weil es in deren Übernahme der EU-Sanktionen einen Neutralitätsverlust sah.

Ganz im Sinn von Albert Camus, der das Gespräch als «einzige Brücke zwischen den Menschen» begriff, bleibt für die Schweiz vielleicht genau darauf zu bauen. Vertrauliche Räume für den Dialog zu schaffen, ist auch ein Ziel der Mediation. Für die Gesprächsbereitschaft der Beteiligten ist es wichtig, auf beiden Seiten dieser Brücke zu vermit­teln, dass es kein Zeichen von Schwäche oder des Verständnisses für die Taten des Gegners ist, wenn ich ihm offen und ehrlich begegnen will.

Wie beim hocheskalierten Streit zwischen Nachbarn, geht es in militärischen Konflikten zwischen Nationen um die Zukunft der nachbarschaftlichen Beziehung. Wenn Trennung aus geografischen oder anderen Gründen keine Option ist und sich individuelle Sicher­heits­­interessen entgegenstehen, kann mit der Anerkennung der Unterschiede und Verständnis für die Bedürfnisse des Anderen ein neuer Umgang im Zusammen­leben gefunden werden.

Die Mediation und mediatives Handeln erweisen sich bei Dilemmata, in denen es nur ein «Entweder … oder» gibt, als wirkungsvolles Verfahren oder Mittel, um eine neue Sichtweise zu bekommen. Sie helfen aufzuspüren, wo es um Werte und Grundsätze gehen muss, damit eine friedliche Ko-Existenz möglich wird. Die Mediation erfasst dabei individuelle Aspekte ebenso wie das grosse Ganze.

Wir wissen womöglich aus privaten oder geschäftlichen Erfahrungen, wie fragil das Vertrauen in nachbar- oder partner­schaftliche Beziehungen sein kann. Wenn wir aber ein Ende mit Schrecken verhindern möchten, muss es dann ein Schrecken ohne Ende werden? Nein, denn es gibt einen dritten Weg.

Wir müssen «immer wieder das Gespräch zu unserem Nächsten suchen», wie es der französische Schriftsteller Camus auszudrückte. Das ist der erste Schritt, um Brücken zu bauen, statt Polarisierung zu fördern. Frieden im Aussen setzt Frieden im Innen voraus. Was auf politischer Ebene gelingen kann, ist vielleicht auch in einem privaten Konflikt eine Chance Frieden zu stiften.

© mediaVersum

November 2022